Artist:         SOUL ASSASSINS/ V.A.

Title:          Muggs Presents...The Soul Assassins Chapter II

Label:         Intonation/Ruff Life/Virgin

 

”I took a lot of good New York Underground acts and underground L.A. acts on this album. Even the major acts I have are still underground. GZA’s underground, yet he’s gold. Xzibit is large, yet he’s still underground (...) So everybody on here is all underground artist.

(Lawrence Muggerud aka DJ Muggs)

Ich lebe für HipHop...so klingt es zur Zeit des öfteren aus unseren Radios; ich lebe für HipHop, das könnte auch das Lebensmotto von einem der Protagonisten der amerikanischen HipHop-Szene sein. Was heißt hier könnte? Es ist sein Lebensmotto, mittlerweile seit über 15 Jahren, seit jener Zeit, als sich der junge Lawrence Muggerud aka DJ Muggs sich auf die große Reise von New York nach Kalifornien machte, um ganz tief eintauchen zu können in die sich dort etablierende und manifestierende HipHop Kultur, die ihn sofort und nachhaltig in ihren Bann zog. Das war 1984, das Jahr, in dem alles begann...

Aller Anfang ist schwer, dies galt auch für Muggs und seine HipHop-Skills, doch schon ein Jahr nachdem er den Entschluß gefaßt hatte, es den Menschen gleich zu tun, die er rückblickend auch als seine wesentlichen Einflußgrößen einschätzt (Public Enemy, Marley Marl, UltraMagnetic MC’s), entwickelte er einen recht eigenen und vor allem vorzeigbaren Sound, der sich von den bekannten, sehr melodiösen „West-Coast-Laid-Back-Vibes“ (wenn das mal keine schöne Bezeichnung ist!) vor allem durch seine härtere Gangart unterschied. Oder aber in den Worten von Muggs wesentlich direkter auf den Punkt gebracht: „After about a year, shit just startet to sound like records.“

Yes! Dachten wohl auch B-Real und Sen-Dog, jene Menschen, die Muggs bereits in sehr frühen Kalifornien-Tagen kennengelernt hatte und die sich so begeistert von dessen Fähigkeiten zeigten, dass man beschloss, gemeinsam ein Projekt zu starten und bevor wir an dieser Stelle den Lesern zu sehr mit Details langweilen, nehmen wir einfach eine brutale Abkürzung: Aus dem geplanten Projekt entstand 1991 mit „Cypress Hill“ das selbstbetitelte Debutalbum und über Nacht gehörte Muggs als wesentlicher Bestandteil dieser Band zur weltweiten Rap-Elite; Cypress Hill waren so etwas wie das offiziellen Sprachrohr der amerikanischen HipHop Kultur, die trotz ihres großen Erfolgs nie den Draht zum Underground verloren hatten, die dort immer als dazugehöriger Teil des Ganzen angesehen wurden: Integration statt Isolation!

Muggs widmete sich nach dem gemeinsamen Durchbruch mit Cypress Hill verstärkt seine Zeit dem Produzieren von Alben, wo er mit House Of Pain’s „Jump Around“ einen ersten größeren Erfolg verzeichnen konnte, der ihm den Ruf einbrachte die Grenzen nicht nur des HipHops zu sprengen. Muggs: „I could fuck with all kinds of music. I like to tap into that. I take a Rock song and flip it to a hip-hop song or hip-hop song into a rock mix. I could tap into

Jungle, Dub. I don’t like just doing the same shit that been done. It’s redundant.“ ... und so findet man denn heute auch seinen Namen bei Produktionen von zahlreichen Künstlern wie Xzibit, Ice Cube, Supercat oder Goodie Mob genau so wie bei Superstars wie U2, Beastie Boys, Goldie oder Tricky usw.

Im Jahre ’97 widmete sich Muggs einem ganz besonderen Projekt: Er wollte zur Hochzeit der East-Coast/West-Coast Fehde die „verfeindeten“ Parteien auf einem Album zusammenbringen, quasi eine „bi-coastal gala of hip hop“. Und es ist wohl der oben in groben Zügen geschilderten Vergangenheit von Muggs zu verdanken, dass dieses Projekt auch wirklich in „Muggs Presents...The Soul Assassins Chapter I“ seine Realisation fand und Künstler wie Dr.Dre, Wu-Tang’s RZA und GZA, MC Eight, KRS-One, Wyclef Jean und Mobb Deep auf einer Platte versammelte. Die zerissene, auseinanderdividierte, amerikanische HipHop-Kultur hatte einen gemeinsamen Klassiker, der nicht nur bei den Kritikern großen Anklang fand, sondern der auch von der Basis, oder besser: von den Basen begeistert angenommen wurde.

Mehr als drei Jahre später präsentiert uns Muggs den zweiten Teil der Soul-Attentäter und erneut hat er einen bunten Haufen angesehener, integerer, amerikanischer HipHop-Künstler zusammengetragen. Über diesen zweiten Teil sagt Muggs selbst: „I tried to tap into the way I felt in 84 with this Soul Assassins record. It’s like O.K. I’m not gonna conform to radio, conform to the trends, conform to what they wanna play in clubs or conform to what DJ’s wanna play. I’ma make a straight dusted record that reminds me of going to the basement making beats, lights dimmed with blunt smoke all over. And that’s what this record sounds like. A merky, smoked out record.Der Meister hat gesprochen, d.h. dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Es wäre für einen wie Muggs mit Sicherheit ein leichtes gewesen, ein Album mit den aktuellen Chart-Superstars des HipHop zu machen; doch er hat bewußt darauf verzichtet, hat darauf geachtet, dass die Chemie stimmt (Muggs:„That’s very important. You can’t throw anybody with anybody“) und präsentiert uns die derzeitigen „most respected wordsmiths“ des amerikanischen Undergrounds.

Und wer jetzt noch immer sagt, dass Leute wie Kool G Rap, Xzibit oder Everlast doch kein Underground seien, der hat’s einfach nicht kapiert oder ich habe es einfach nicht richtig rübergebracht.  Viel, sehr viel gäbe es noch zu schreiben. Klar! Geht aber nicht, wegen dem Platz und so. Unser Vorschlag: Selber mit dem Künstler reden (siehe unten). Es lohnt sich. Denn wenn einer Dir etwas über amerikanischen HipHop erzählen kann, dann ist es Lawrence “I’m about to do some ill shit this year!” Muggerud persönlich. 

  

 

Artist:        Mirwais

Title:          Production

Label:        Naïve / Epic

”I’m not part of any scene. I like to mix my influences. I want to do something different.

(Mirwais)

 

Wow...it’s pink!

Am Anfang war die Farbe. Pink. Nicht irgendein Pink, nein, das pinkigste Pink, das man je zu Gesicht bekam. So alarmierend grell, so ungewöhnlich, so krass. Und dann... dann kam die Musik.

...und so soll’s sein und nicht anders. Deswegen an dieser Stelle ein ernstgemeinter Vorschlag: jetzt erst einmal ganz entspannt die Platte anhören und anschließend erst das Info lesen; denn wie die Wilden werden wir gleich mit Namen um uns schmeißen. Zugegeben: ein zweifelhaftes Vergnügen, schnell kommt da der Verdacht auf, man wolle über das Namedropping vom Wesentlichen ablenken. Wollen wir aber gar nicht.

  Vive la différence…

Mirwais Ahmadzal (39), schon der Name allein ist Musik, und auch seine biographischen Daten heben sich von den üblichen Verdächtigen ab: als Sohn einer Italienerin und eines Afghanen wuchs Mirwais zunächst in der Schweiz auf, im Alter von sechs Jahren zog es die Familie jedoch nach Paris, wo er auch heute noch lebt (das nenn’ ich multikultereller Background!) Inspiriert von den Stones und Hendrix kaufte er sich mit 12 seine erste Gitarre, mit 17 gründete er seine erste Band, Taxi Girl. Obwohl die Band Anfang der 80er Jahre mit ihrer elektronischen Pop-Musik, ihrer Mischung aus den Stooges und Kraftwerk, zu den ganz Großen des French Undergrounds gehörte, waren die acht Jahre als Gitarist für Mirwais ein Alptraum, der im Drogentod des Schlagzeugers gipfelte und gleichzeitig das Aus für Taxi Girl bedeutete. In den folgenden Jahren zog sich Mirwais mehr oder weniger komplett aus der Musikszene zurück, und erst Mitte der 90er - House und Jungle traten gerade ihren unaufhaltsamen Siegeszug durch die französischen Clubs an - wurde er von dieser „incredible energy“ der elektronischen Musik und der Möglichkeit, mit wenig Geld gute Platten zu produzieren, gepackt. Also, was macht der gute Mirwais? Richtig: Er fängt an, Platten zu produzieren, in erster Linie und mit wachsendem Erfolg für andere Künstler; im stillen Kämmerlein bastelt er aber auch unermüdlich an seinem eigenen Material, das Ende der 90er Jahre auf wunderbar-verschlungenen Pfaden seinen Weg zum kleinen französischen Independent Label Naive findet. Dort ist man begeistert...

For example track 4; 92 seconds played…just great!

...und begeistert sein wird sicherlich auch der/die ein oder andere (die meisten? oder gar fast alle?) LeserInnen dieser Zeilen von Mirwais‘ Debutalbum “Production”; eine Aussage, mit der man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster lehnt. Schon die erste Singleauskopplung „Disco Science“, die so klingt, als hätte man Daft Punk’s „Da Funk“ durch den Valiumschleier von Primal Screams „Screamadelica“ gezogen, zeigt, was uns auf „Production“ erwarten wird: Intelligenter, zeitgemäßer und facettenreicher Elektro-Pop, z.T. mit schönen Gitarrenarrangements, irgendwo zwischen Air, Daft Punk, Screamadelica und Cassius, vielschichtig, voller Überraschungen, rund und gut wie pink. „Production“ ist mit einem so ungeheuren Spannungsbogen gesegnet, daß mir auch nach mehrmaligem Hören nichts passendes dazu einfällt. Muß ja auch nicht sein, oder erwartet irgendwer, daß ich mich jetzt über jeden einzelnen Song...? Gott bewahre!

Madonna’s French Connection oder: Auf der Suche nach Laetitia Casta…

Apropos „Disco Science“: co-geschrieben von Kim Deal (Pixies/Breeders), inklusive „Cannonball“-Sample. Zu diesem Stück, das jüngst vom NME zur „Single Of The Week“ gekürt wurde, gibt es ein unglaubliches Video, das von MTV wegen seiner semi-pornographischen Inhalte verbannt worden ist (was bloß hat MTV gegen sado-masochistische, orientalische Orgien mit Geisha-Girls und Mirwais als Samurai?). Verantwortlich für das Video (aber auch für das Cover-Foto) ist ein alter Kumpel Mirwais’ aus vergangenen Taxi Girl-Tagen, der bereits für Madonna („Fever“), Björk („Big Time Sensuality“) oder die Red Hot Chilli Peppers gearbeitet hat: Stepane Sednaoui. Über ihn kam auch der Kontakt zur Popdiva Madonna zustande, für die Mirwais zur Zeit gemeinsam mit William Orbit ihr neues Album produziert. Und die gute Madonna ließ sich auch nicht lumpen und wirkt als Gastsängerin auf dem zum Weinen schönen „Your Paradise (Is Not For Me)“ mit. Und das beste: Sie singt eine Strophe auf französisch. Wunderbar!

Merken Sie was? Wir sind mittendrin im Namedropping und noch nicht am Ende: Erwähnung finden sollte noch die siebenminütige Serge Gainsbourg-Adaption „V.I. (The Last Words She Said Before Leaving)“, die absoluten Killer-Remixe zu „Disco Science“ von Giorgio Moroder und Joey Negro und natürlich die Frage nach Laetitia Casta. Tun Sie mir bei Ihrem nächsten Parisbesuch doch einen Gefallen und fragen Sie Laetitia (hat sie etwa ein Techtelmechtel mit dem Mirwais? Aber nein, das kann nicht. Oder doch?), warum sie auf der Credits-Liste im Mirwais- Album steht. Ich bin mir sicher, sie wird Ihnen über den Weg laufen. Wie dem auch sei:

Wenn wir am Ende dieses Jahres hingehen und das „Buch der großen Überraschungen 2000“ öffnen, ganz behutsam, damit auch nichts verloren geht, so werden wir dort unter dem Buchstaben M vielleicht auch einen Eintrag zu Mirwais finden...Vive la différence!